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Berliner Gassenhauer

 
  Anders als beim organisierten Arbeiterlied begegnen einem in den Berliner Gasenhauer keine politischen Kundgebungen, jedoch um so mehr satirische Seitenhiebe und zeitkritische Streiflichter.
Aufsässige Verse gegen die preußische Monarchie gingen der Revulution von 1848 voraus und begleiteten sie. Als der ehemalige Bürgermeister Tschech aus Storkow 1844 ein Attentat auf das preußische Königspaar verübte, enstand ein Erzähllied, das unter der Maske biedermänischer Bänkelsängertones beißenden Spott über den Landesfürsten birgt:

  "War wohl je ein Mensch so Frech
als der Bürgermeister Tschech?
Denn er traf auf ein Haar
unser teures Königspaar,
ja er traf die Landesmutter
durch den Rock ins Unterfutter."
 

Als Melodie benutzte man den Festmarsch "Kriegers Lust" des österreichischen Militärkapellmeisters Josef Gungl. Der Wiederspruch zwischen der martialischen Weise und dem unterlegten höhnischen Text wirkt heute noch provozierend. Obgleich die Polizei Singen und sogar Pfeifen des majestätsbeleidigenden Gassenhauers verbot, verbreitete er sich mit Windeseile, sein Gesang wurde der arbeitsbewegung auch später von regierungstreuer Seite schwer verübelt.
Aus den Revolutionskämpfen selbst sind Verse überkommen in denen sich der Zorn des Volkes über den unbeliebten Kartätschenprinzen, den späteren Kaiser Wilhelm I, Luft machte. Als man die Rückkehr der nach dem Aufstand entfernten Truppen erwartete, soll die Bürgerwehr den Kronprinzen begrüßt haben:

  "Komme doch, komme doch, Prinz von Preußen.
Komme doch, komme doch nach Berlin.
Wir woll´n dir mit Steine schmeißen
und das Fell über die Ohren ziehn."
 

Die musikalische Grundlage für revolutionäre wie die konterrevolutionäre Version bot ein Tanzlied "Komme doch, komme doch, du Schöne", gesungen auf die Sperl-Polka des älteren Johann Strauß in der Fassung eines Kleinmeisters. Späterhin erschienen häufig im Gassenhauer Ausfälle gegen die Polizei. Doch erst die letzten Weltkriegsjahre und die Novemberrevolution zeigten wieder solche oppositionellen Lieder gegen die Statsgewalt selbst.
   

Der Stralauer Fischzug

Auf, lasset uns nach Stralau gehn!
Man kann dort mit Vergnügen sehn
Sehr viele Gegenstände
Von Anfang bis zu Ende.

Potz alle Welt! Seht nur einmal
So viele Tausend an der Zahl,
Die kommen angelaufen,
Und das in ganzen Haufen.

Zu Fuß kann man durch Bemühn
Kaum durch die lange Gasse ziehn,
Versperrt durch Krüppel, Lahmen,
Die angezogen kamen.

Große Herren, galante Stutzer,
Geizhälse und auch Schuhputzer,
Kammerjungfern, schöne Kinder,
Lumpenpack und Besenbinder.

Handwerksbursche und Soldaten,
Auch verdorbne Advokaten,
Titular-Sekretäre,
Auch verdorbne Feldscheere.

Schöne Jungfern,
Junggesellen,
Stille Köpfe und Rebellen,
Junge Väter und Großpapa,
Sehr geplagt vom Podagra.

Kupplerinnen und Koketten,
Die dort werben durch Stafetten,
Damen, zart und schön von Wuchs,
Und mit Augen gleich dem Luchs.

Polka Wut

Alles soll sich Polka nennen,
Alles muß jetzt Polka sein,
Hier sind Polka-Pferderennen,
Dort ein Polka-Hutverein.

Alles brennt wohl nah und ferne,
Wo man Bairisch Bier genießt,
Eine Polka-Gaslaterne,
Wenn auch Polka-Mondschein ist.

Könnt ihr Polka-Groschen zahlen,
So bedient euch in Berlin,
In den Polka-Bierlokalen,
Eine Polka-Kellnerin.

Polka, O du tolle Mode,
Polka-Jacke, Polka-Hut,
Ach, schon büßte mit dem Tode
Mancher seine Polka-Wut.

Fehlt der Frau der Polka-Vetter,
Ist er polka-ärgerlich,
Und ein Polka-Donnerwetter
Zeigt am Polka-Himmel sich.

Doch der Mann im Polka-Glanze
Sich zu helfen wissen muß,
Führt die Frau zum Polka-Tanze,
Gibt ihr einen Polka-Kuß.

   
 

Fritze Bollmann

In Brannburch uffn Beetzsee,
Da steht een Fischerkahn,
Und drin sitzt Fritze Bollmann
Mit sein janzen Angelkram.

Fritze Bollmann wollte angeln,
Da fiel die Angel rin,
Fritze Bollmann wollt’ se langen,
Da lag er selber drin.

Fritze Bollmann schrie um Hilfe:
»Liebe Leute, rettet mir;
Denn ick bin ja Fritze Bollmann,
Aus de Altstadt der Barbier!«

Nur die Angel ward gerettet,
Fritze Bollmann, der versuff,
Und seitdem jeht Fritze Bollmann
Uffn Beetzsee nich mehr ruff.

Fritze Bollmann kam in’n Himmel:
»Lieber Petrus, laß mir durch;
Denn ick bin ja Fritze Bollmann,
Der Barbier aus Brandenburch!«

Und der Petrus ließ sich rühren:
»Fritze Bollmann, komm man rin!
Du kannst mir mal jleich balbieren.
Komm man her und seef mir in.«

Fritze Bollmann, der barbierte,
Petrus schrie: »0 Schreck und Jraus!
Du willst mir wohl massakrieren?
Det halt ja keen Deibel aus!

Uff de jroße Himmelsleiter,
Kannste wieder runter jehn,
Und balbier man unten weiter,
Ick laß mir’n Vollbart stehn!«

Das kann nur ein Berliner sein

Es sind im deutschen Vaterland,
Berliner überall gekannt;
Kaum hat man uns nur angesehn,
So heißt es gleich: »Aus Spree-Athen!«
Ruft einer an der table d’hote:
»He! - Kellnihr! Himmel Saperlot!
Was ist mich dieses für ein Wein!«
Das kann nur ein Berliner sein.

So trifft man oft auf Reisen an
Ein Dämchen auf der Eisenbahn.
Kaum steigt sie ein in den Waggon,
So geht’s gleich los im hohen Ton:
»Ne - was des hier och enge is!
Was das vor ein Jedränge is!
Hier setz ick mir noch lang nich hin!«
Das nennt man ‘ne Berlinerin!

Kommt man in München oder Wien,
Und sonst wo ins Theater hin,
Wird uns zur Seite dann placiert,
Ein Mensch, der alles kritisiert,
Der, wenn ein Stück auch sehr behagt,
Doch schreit: »Das ist jar nichts gesagt,
Was das fur faule Künstler sind!«
Das nennt man ein Berliner Kind.

Bei Hofrath’s wird sehr fein zum Tee
Man invitiert. U. a. w. g.
Steht auf der Karte.
Man denkt, das heißt Gewiß:
Und abends wird gespeist..
O Täuschungsjammer! Ach - es giebt
Nur Butterbemkens, eingestippt
In heißes Wasser mit Pecco-Saft
Das ist Berliner Gastfreundschaft.

 

   
 

Ist denn kein Stuhl da?

Ist es Sonntag, welche große Freud,
Mach ich nobel mich voll Schick und Schneid,
Geh zu meiner lieben Hulda raus,
Eins, zwei, drei sind raus wir aus dem Haus.
Hin nach Schöneberg in’n Adler geht’s,
Da hat man beim Scherbeln manchen Fez,
Wird die Hulda endlich müde mal,
Singe ich vergnügt laut durch den Saal:

Ist denn kein Stuhl da, Stuhl da ;
Für meine Hulda, Hulda? ,’-
Seht euch mal alle um,
Es wär doch gar zu dumm,
Wenn hier kein Stuhl da
Für meine Hulda.

Haben alle feste dann geschwooft,
Jeder kreuzvergnugt nach Hause looft.
Unterwegs gibt mein holder Schatz
Mir noch einen süßen kräft’gen Schmatz.
Dann wird auf die Stadtbahn raufgehoppt,
Die Coupes sind alle vollgeproppt,
Doppelt schon besetzt ist jeder Schoß,
Darum schreie ich sogleich auch los:

Ist denn kein Stuhl da, Stuhl da ;
Für meine Hulda, Hulda? ,’-
Seht euch mal alle um,
Es wär doch gar zu dumm,
Wenn hier kein Stuhl da
Für meine Hulda.

Endlich schnappt man wieder frische Luft,
Ganz zerknautscht ist meine neue Kluft,
Nun man schleunigst mit vergnügtem Sinn
Noch zu Aschinger mit Hulda rin.
Von zehn Brötchen ist sie noch nicht satt,
Sie ißt noch drei Würstchen mit Salat,
Alles dies im Stehn sie kleine kaut,

Plotzlich wird ihr schlecht, drum ruf ich laut:

Ist denn kein Stuhl da, Stuhl da ;
Für meine Hulda, Hulda? ,’-
Seht euch mal alle um,
Es wär doch gar zu dumm,
Wenn hier kein Stuhl da
Für meine Hulda.

Meine Hulda ist ein proppres Kind.
Wie wohl wen’ge heut zu finden sind;
Einen Fehler aber hat sie doch:
Sie ist namlich bloß drei Käse hoch.
Wenn wir beide zur Parade gehn,

Da kriegt meistenteils sie nichts zu sehn,
Sie verkrumelt sich mangs Publikum,
Darum ruf ich, daß es schallt ringsum:

Ist denn kein Stuhl da, Stuhl da ;
Für meine Hulda, Hulda? ,’-
Seht euch mal alle um,
Es wär doch gar zu dumm,
Wenn hier kein Stuhl da
Für meine Hulda.


Leute höret die Geschichte die passiert ist in Berlin

Leute, höret die Geschichte
die passiert ist in Berlin
wo gottlob Zensurgerichte
noch in stiller Größe blühn

Ganz besonders im Theater
kannst du finden ihre Spur
denn dort sorgt gleich einem Vater
unsre herrliche Zensur

Und auf allen seinen Schlichen
wird dem Bösen nachgespürt
was da schlecht, wird ausgestrichen
oder gar nicht aufgeführt

War da jüngst ein Diener Gottes
mit dem Namen Trümpelmann
der den Geifer seines Spottes
nicht für sich behalten kann.

Schrieb ein Festspiel über Luthern
statt ein frommes Predigtbuch
tat drin gegen Roma futern
und den Papst - das sagt genug

Auch auf Tetzeln tat er schimpfen
wegen seinem Ablasskram
tat die Nase freudig rümpfen
weil man einst sein Geld ihm nahm

Doch das ist noch nicht das Schlimmste
hochverehrtes Publikum
Spitz die Ohren, jetzt vernimmste
was mich macht vor Schrecken stumm

Denk dir nur: Zu Luthers Tagen
hat ein B e b e l schon gelebt,
der mit innigem Behagen
nach Humanität gestrebt.

Zwar hieß dieser Bebel H e i n r i c h
doch das ist wohl sonnenklar
und es ist auch höchstwahrscheinlich
dass er schlecht wie A u g u s t war

Diesen Bebel auf die Bühne
wollte bringen Trümpelmann
Wie ein Mensch nur solches kühne
Wagnis unternehmen kann.

Ach, was konnte nicht passieren
wär der Name durchgerutscht
Rote konnten applaudieren
oder hätten gar geputscht

Publikum, o sei nicht bange
die Zensur tat eine Tat -
aus dem B e b e l ward ein Lange
und gerettet war der Staat

Und wen dies Ereignis wundert
hat gelebt, doch nicht gedacht
denn im neunzehnten Jahrhundert
hat man´s herrlich weil gebracht.

 

 

Wohin ich wandere durch die Welt (am grünen Strand der Spree)

Wohin ich wand´re durch die Welt
weit über Meer und Land
der Ort sich frisch im Herzen hält
wo meine Wiege stand
Ja, käm´s Berliner Kind hinaus
ins Glücksland ohne Weh
es kehrt zurück ins Vaterland
am grünen Strand der Spree

Wir haben keine Berge hoch
kein üppig fruchtbar Land
und lieben unsre Heimat doch
wie sie schuf uns´re Hand.
Und nennt man uns auch schönheitsarm
auf märk´schen Sand und See
die Herzen schlagen doppelt warm
am Grünen Strand der Spree

Pocht irgenwo des Unglücks Macht
recht hart und grausam an
ist hier zu helfen Tag und Nacht
bereit wohl jedermann
Berlin, du leidgeprüfte Stadt
hast manchen Sturm gesehn
Doch hob man stets das Haupt empor
am grünen Strand der Spree

Berlin, du sollst ein Beispiel sein
Für Fleiß und klaren Sinn
Für nie versagend tapfern Mut
Du, unsre Königin
Wir lieben dich zu jeder Stund
In Freude Schmerz und Weh
Wir preisen dich mit Herz und Mund
Am Strand der grünen Spree

Bolle reiste jüngst zu Pfingsten

Bolle reiste jüngst zu Pfingsten,
nach Pankow war sein Ziel.
Da verlor er seinen Jüngsten
janz plötzIich im Jewühl,
‘ne volle halbe Stunde
hat er nach ihm jespürt.
Aber dennoch hat sich Bolle
janz köstlich amüsiert.

In Pankow gab’s kein Essen,
In Pankow gab’s kein Bier,
War alles aufjefressen,
Von fremden Gästen hier.
Nich mal ‘ne Butterstulle
Hat man ihm reserviert!
Aber dennoch hat sich Bolle
Janz köstlich amüsiert.

Auf der Schönholzer Heide,
Da gab’s ‘ne Keilerei,
Und Bolle, gar nicht feige,
War feste mang dabei,
Hat’s Messer rausgezogen
Und fünfe massakriert,
Aber dennoch hat sich Bolle,
Janz köstlich amüsiert.

Schon fing es an zu tagen,
Als er sein Heim erblickt.
Das Hemd war ohne Kragen,
Das Nasenbein zerknickt,
Das rechte Auge fehlte,
Das linke marmoriert,
Aber dennoch hat sich Bolle
Janz köstlich amüsiert.

Als er nach Haus gekommen,
Da ging’s ihm aber schlecht;
Da hat ihn seine Olle
Janz mörderlich verdrescht!
‘ne volle halbe Stunde
Hat sie auf ihm poliert,
Aber dennoch hat sich Bolle
Janz köstlich amüsiert.




Lampenputzer is meen Vater


Lampenputzer is meen Vater
im Berliner Stadttheater

Meene Mutter wäscht Manschetten
für Soldaten und Kadetten

Meene Schwester, die Gertrude
steht in eener Selterbude

Schusterjunge is meen Bruda
und ick bin det kleenste Luda!


Denkste denn denkste denn du Berliner Pflanze

Denkste denn, denkste denn
du Berliner Pflanze
denkste denn ich liebe dir
weil ich mit dir Tanze ?

Denkste denn, denkste denn,
det ick darum weene ?
Wenn de mir nicht lieben duhst,
denn lieb ick mir alleene.

Denkste denn, denkste denn,
det ick mir dir scherze ?
Steck mir'n Sperpektif in'n Mund
Und kuck mir in mein Herze.


Denkst Du daran Berliner als wir klagten

Denkst Du daran, Berliner, als wir klagten
ob unsrer Knechtschaft, unsrer bittern Not;
als grollend wir den Gott da oben fragten,
wann endlich kommt der Freiheit Morgenrot?
Denkst Du daran, als wir den Schergen fluchten
der Despotie und ihrem Geisterbann,
wie wir daheim die Waffen untersuchten!
Mein Bruder, sprich, gedenkst Du noch daran?

Denkst Du daran, mein tapferer Berliner,
als wir uns rissen aus der alten Schmach;
als nun mit vielen Tausend ihrer Diener
der Kampf, der längst ersehnte Kampf, ausbrach?
Das Pflaster auf! Die Büchse scharf geladen!
Gieß' Kugeln, Bursch! Gesell, der Feind rückt an!
O sprich! An unsre heil'gen Barrikaden,
mein Burder, denkst Du noch daran?

Denkst Du daran, was unsre Brust empfunden,
als man Kartätschen auf die Bürger warf:
Als wir gewaschen unsrer Brüder Wunden
mit Tränen liebesmild und rachescharf?
Wir bebten nicht, wir sah'n die Kugeln fliegen,
wir schrieen mit dem Blut das um uns rann:
Tod oder Freiheit! Sterben oder Siegen!
Mein Bruder, sprich, gedenkst Du noch daran?

Denkst Du daran, was wir uns zugeschworen,
die Hand noch feucht von jener Helden Blut?
Blut war der Lohn, den wir für sie erkoren
in so gerechter, namenloser Wut.
O sprich's nicht aus, was damals wir gelobten,
als sich das Herz, das mut'ge nicht besann!
O sprch's nicht aus, was Zorn und Rache tobten,
doch denk daran, mein Bruder, denk daran!

Denkst Du daran, als wir nun jauchzend sangen:
Das Vaterland, das deutsche Volk ist frei!?
Wir hörten nicht das Wutgezisch der Schlangen
der lauernden, versteckten Tyrannei.
Denkst du daran, als wir die bleichen Helden
ins Grab gesenkt; wir weinten Mann für Mann!
Was sie getan, wird sie Geschichte melden;
sie denkt daran, o denk' auch Du daran!

Wir hörten sie, die Heldengeister mahnen
an unsern Schwur uns: Freiheit oder Tod!
Wir lassen sie nicht, unsre Siegesfahnen,
wie gift'gen Blickes auch der Feind uns droht.
Wir denken dran, wie wir der Knechtschaft fluchten:
Rühr' einer unser heilig Recht uns an!
Wir haben jetzt, was wir uns früher suchten:
Wir denken dran, bei Gott, wir denken dran!

   
 

Von dir muss ich scheiden

Von dir muß ich scheiden,
Prächtiges Berlin.
Alle meine Freuden,
Die f1iehen jetzt dahin.
Ich wünsch’, daß alle andern
Aus den Thoren wandern;
Blieb ich nur in dir,
O wie wohl war mir!

Unter deinen Linden,
Wenn der Frühling kam,
Kann man des Abends finden,
Was der Tag uns nahm:
Herzens-Ruh’ und Stärke,
Von des Tages Werke,
Und in des Mädchens Arm
Ruht sich’s hold und warm.

Prächtiger Tiergarten,
Bald verlaß ich dich;
Ich kann nicht länger warten,
Weiter reis’ jetzt ich.
Unter deinen Schatten,
Wie auch auf grüner Matten
Und an des Mädchens Brust
Ruht sich’s voller Lust.

Moabit und Pankow,
Wie auch Charlottenburg,
Künftig fahr’ ich wieder
Eure Fluren durch.
Schöneberg vor allen,
In Templow hat’s mir gefallen.
Lebe wohl auch du,
Lichtenberg dazu.

In der Hasenheide
War ich oft vergnügt.
Wie auch so manche Freude
Mir darin verfliegt.
Stunden sind verflossen,
Die ich so süß genossen.
o du schöner Ort,
Warum muß ich fort?

Euch, ihr Tabagien,
Wo viel Jubelton,
Von euch muB ich f1iehen,
Dahin, wo Kummer wohnt,
In ein kleines Städtchen,
Da lebt man ohn ein Mädchen,
Man hat kaum ’s liebe Brod.
Still ist es, öd und tot.

Liebes Mädchen, lebe
Wohl, vergiß mein nicht.
Sieh’, mein Aug’ erhebet
Sich zu dir und spricht:
Lebe wohl auf immer,
Dein vergeß ich nimmer,
Bis einst des Todes Hand
Trennt auf unser Band.

Lebet wohl, ihr Freunde,
Gott verleih’ euch Gluck!
Einmal kehr ich wieder
Nach Berlin zurück.
Lebet wohl, ihr Feinde
Wie auch ihr besten Freunde!
Bleibt ihr Linden grün,

Lebe wohl, Berlin !

 

Mordbrennerlied

Heute sind wir unsrer Neune,
Stehen hier an dieser Scheune
Und machen den Kaffern wohl bekannt:
Schöneberg wird abgebrannt.

Ihr Herren nehmt euch wohl in acht,
Haltet Berlin in guter Wacht;
Ich mach euch dieses wohl bekannt,
Berlin wird nachstens abgebrannt.

Drum laßt uns heute noch fröhlich seyn
und trinkt ein Gläschen kühlen Wein.
Ich will nicht eher von dannen gehn,
Ich muß Berlin in Asche sehn.

In Rixsdorf, da gibt’s reiche Leut,
Da machen Kessen gute Beut;
Drum mach ich’s denn euch wohl bekannt,
Rixsdorf wird nächstens abgebrannt.

Ihr Brüder, steckt das Kittchen an!
Es ist ja unser Unglücksplan,
Und wo wir alle kommen h’rein
Und mussen hart gebasselt seyn.

In Cöpnick gehen wir alle rein,
Es soll und muß geflaggert seyn.
Ich liebe dies zum Zeitvertreib,
Denn Flaggern, das ist meine Freud.

Ich bin der Häupter dieser That,
Der Pech und Schwefel bei sich hat.
Mein Name ist euch wohl bekannt,
Herr Hauptmann werd ich ja genannt.



Mein Hut sieht ökonomisch aus

Mein Hut sieht eckenomisch aus,
wiedewiede bom bom
Er dient zum Fang von Ratt und Maus,
wiedewiede bom bom

meine Weste ist von Kasemir,
Das Hinterteil, das fehlet ihr.
Wiedewiede bom bom

Mein Rock, der ist von Palmenblatt,
Hinten nischt und vorne glatt,
Die Hose ist wie Schleier fein,
Da rutsche ich man glatt hinein.
Wiedewiede bom bom

Meine Strümpfe haben hundert Löcher,
Die sind zum Fischen die schönsten Köcher.
Meine Stiefel, 0 du Graus,
Da kucken die Zehen und Hacken raus,
Drum bürst ich sie auch niemals rein,
Weil Bürsten Ja so teuer sein.



In Berlin sagt er (Die Wienerin in Berlin)

In Berlin, sagt er
mußt du fein, sagt er
und gescheit, sagt er
immer sein, sagt er
denn da haben´s, sagt er
viel Verstand, sagt er
ich bin dort, sagt er
schon bekannt

Nimm zehn Briefe, sagt´ er
mit hinab, sagt´ er
gib sie richtig, sagt´ er
alle ab, sagt´ er
Hier der Große, sagt´ er
hat´ s im Bauch, sagt´ er
und geschrieben, sagt´ er
sein sie auch

Und hernach, sagt´ er
leg dich an, sagt´ er
grad so schön, sagt´ er
wie man kann, sagt´ er
Gute Kleider, sagt´ er
wie zur Tauf´, sagt´ er
und die Haub´n, sagt´ er
oben d'rauf

Ganz besonders, sagt´ er
und vor Allen, sagt´ er
such durch´s Sprechen, sagt´ er
zu gefallen, sagt´ er
Recht Berlinisch, sagt´ er
immer sprich, sagt´ er
und statt mir, sagt´ er
sagst du mich.

Im Tiergarten, sagt´ er
ist´s gar schön, sagt´ er
wirst viel Wagen, sagt´ er
fahren sehn, sagt´ er
Und es sitzen, sagt´ er
Damen drin, sagt´ er
wie die schöne, sagt´ er
Wienerin.

Grüß mir alle, sagt´ er
die ich kenn', sagt´ er
kann sie dir nicht, sagt´ er
alle g´nenn´n, sagt´ er
Wen du siehst, sagt´ er
grüß mir halt, sagt´ er
jeder nimmt sich's, sagt´ er
dem´s gefallt.

Merk wohl auf, sagt´ er
daß die Herrn, sagt´ er
dich nit foppen, sagt´ er
sie tuns gern, sagt´ er
Du bist halt, sagt´ er
noch a Schuß, sagt´ er
und a Busserl, sagt´ er
heißt dort Kuß

Gar zu leicht, sagt´ er
wenn man küßt, sagt´ er
kommt man dort, sagt´ er
zu ´nem Zwist, sagt´ er
Denn sie plauschen, sagt´ er
wunderschön, sagt´ er
du wirst´s halt, sagt´ er
nit versteh'n.

Wann i wüßt´, sagt´ ich
daß i müßt, sagt´ ich
wann i küßt´, sagt´ ich
zu ´nem Zwist, sagt´ ich
Lieber küßt´ich, sagt´ ich
nimmermehr, sagt´ ich
fiel' mir´s wirklich, sagt´ ich
noch so schwer

Nun so reis, sagt´ er
b´hüt di Gott, sagt´ er
kumm nit ham, sagt´ er
etwa tot, sagt´ er
Denn Berlin, sagt´ er
ist nit nah, sagt´ er
B´hüt´ di Gott, sagt´ er
..... na nu bin ich da!

   
 

Was seh ich dort von Ferne ?

Was seh ich dort von ferne
beim Schein der roten laterne?
Die blondgelockte Kellnerin,
Die lockt uns alle rin.

Komm herein, du blondgelockter Bube,
Komm herein in meine gute Stube.
Komm herein und mach die Türe zu,

Denn gestern hat sie »Sie« gesagt
Und heute sagt sie:
Du allein, Du allein
Liegst mir im Herzen,
Du allein, Du allein,
Liegst mir im Sinn,
Du allein machst mir viel Schmerzen,

Weißt du, wieviel Sternlein stehen
An der Saale hellem Strande
Steh ich in finstrer Mitternacht
So einsam auf der stillen Wacht.
Dann, denkste denn, denkste denn,
Du Berliner Pflanze,
Denkste denn, ich liebe dir,
Weil ich mit dem Pfeil, dem Bogen,
Durch Gebirg und Tal
Kommt der Schütz gezogen
Früh am

Morgenrot, Morgenrot,
leuchtest mir zum Zippel, zum Zappel,
Zum Kellerloch hinein,

Heut muß alles versoffen sein.
Solche Bruder muß man haben,
Die versaufen, was sie haben,
Hemde, Hose, Strumpf und Schuh
Und das ganze Geld dazu.

Ein Glas Bier,
Zwei Glas Bier,
Das dritte gibt Courage,
Und wenn der Wirt nichts pumpen will,
Da leckt er uns ‘ne Leberwurst,

Das is ‘ne Delikatess’,

Und wenn der Wirt nichts pumpen will,
haun wir ihm in die ….

Vogel, f1ieg in die Welt hinaus
Unser Liedchen ist jetzt aus ••.

Eisenbahn-Lied

Fort mit dem alten Schlendrian;
Wir lassen uns nicht halten,
Kutschieren mit der Eisenbahn
Zum Trotz euch klugen Alten.
Bewegt euch langsam nur vom Ort,
Wir rutschen mit dem Zeitgeist fort~
Nach Potsdam, Potsdam, Potsdam - 
Tralalala.

Nun heißt es nicht mehr: Alleweil
Geht’s Schritt vor Schritt nach Stralow,
Bald treibt der Dampf in größter Eil
Uns bis nach Quatimalo.
Soll liegen in der neuen Welt,
Doch heute ist der Cours gestellt
Nach Potsdam, Potsdam, Potsdam.
Tralalala.

Auf, Leute, resolvirt euch bald,
Setzt euch in eure Wagen;
So wie der Glockenruf erschallt,
Geht’s ab im wilden Jagen.
Der Wagenzug durchsaust die Luft,
Zurückgelegt ist bald die Kluft
Bis Potsdam, Potsdam, Potsdam.
Tralalala.

Wo bleibt ihr, Schönberg, Stegelitz,
Ihr Wandrer, Felder, Bäume,
Wenn wir durchstreifen, wie der Blitz,
Die wohlbekannten Räume?
Was steht ihr, Wirthe, an der Thür?
Kommt mit uns, machet uns Quartier
In Potsdam, Potsdam, Potsdam.
Tralalala.

Viel rascher als der Vogelflug
Treibt uns der Dampf von hinnen;
O könnten wir den rechten Zug
Die Glücksbahn nur ersinnen.
Ihr Freunde, seid nur bei der Hand,
Wohl mancher in Berlin sie fand,
In Potsdam, Potsdam, Potsdam.
Tralalala.

   
  Gassenhauer – dieser magische Begriff erweckt in jedem Berliner, dem geborenen oder gelernten, ein Gefühl des Wohlbefindens. Der Gassenhauer, unsentimental und direkt, respektlos und aggressiv, dieses grobgehauene Großstadtlied von ehedem, mit dessen letzten Nachklängen wir Heutige noch großgeworden sind, scheint in uns selbst zu wurzeln. So, als sei ein jeder von uns Nachfahre jener Kleinbürger, Handwerker, Marktfrauen und Proletarier, die vor 150 Jahren in den Schmelztiegel der preußischen Residenz geworfen wurden.
Aber wir ahnen mehr, als wir wirklich wissen; denn übriggeblieben ist wenig. Uns war klar, daß sich der Berliner Gassenhauer etwa parallel zur Literatur entwickelt hat. Parallel zu einer Traditionskette, die in Berlin in den literarischen Salons beginnt, bei Adalbert von Chamisso, dem französischen Emigranten und preußischen Offizier, der sich als erster deutscher Dichter über die Restauration erhebt und, geprägt vom Witz der französischen Revolutionslieder, den großen Satiriker Beranger übersetzt. Wir sahen den Gassenhauer in jener Tradition, in der Heine und Georg Weerth standen, die die Vormärzlyrik Herweghs und Freiliggraths wie auch die Revolutionsdichtung des geschaßten Professors Hoffmann von Fallersleben ermöglichte, die einen Glaßbrenner hervorbrachte and der später Wedekind, Weinert and Tucholsky folgten. Das Ende der Traditionskette wußten wir beim Lied von den Säckeschmeißern oder beim Stempellied, das Busch und Eisler in dem riesigen, vermieften Berolinakeller am Alexanderplatz Arbeitern vorgetragen hatten. Als wir die Bühne des Chansons betraten, lag das fast vierzig Jahre zurück, und unser Wissen war mehr theoretischer Art. 1971 fanden wir im Reclam-Paperback „Das Arbeiterlied“ von Inge Lammel das „Lied von der Knorrbremse“ und vertonten es. Nachdem es über den Sender gegangen war, bestellte sich der VEB Berliner Bremsenwerke – vormals eben jene „Knorrbremse“ – einen Unischnitt für den Betriebsfunk. Wir hielten das für rein archivarisches Interesse, horchten aber auf, als uns nach Auftritten mehrfach bestätigt wurde: „Die Knorrbremse“ – die kennen wir. Die hieß bei uns früher „die Knochenmühle“ “!
1974 wurde in einem Jugendklub der Gassenhauer „Wilhelm und Sohn“, ebenfalls dem Paperback entnommen, mitgeschnitten. Wochenlang hielten sich „Wilhelm und Sohn“ in der Jugendliedparade. Das schrieben wir dem Text zu, dem Selbstbewußtsein, das sich hier vermittelte. Bis wir im selben Jahr von der Leiterin der Gewerkschaftsbibliothek des Krankenhauses Friedrichshain gebeten wurden, für die Weihnachtsfeier der Veteranen einige Lieder zu singen. Wohl oder übel traten wir an. Weihnachten war sogar nicht unser Fach. Da saßen sie, 200 ehemalige Heizer, Krankenschwestern, Küche, Wärter, verteilt in eitlem unüberschaubaren Speisesaal. Ich hörte mich sagen: „Ein Lied, das Sie bestimmt alle mitsingen können“. Und ich merkte, daß ich selber nicht an meine Worte glaubte. Aber selbst in den besten Zeiten der Singebewegung hat kein Publikum mit einer solchen Intensität , mit einer solchen Fröhlichkeit mitgesungen. Einen deutschen Kaiser vom Thron zu kippen, und das zu Weihnachten! Ein untersetzter Mann sagte uns zum Abschied: „Euer Glück, daß ihr die Ebertstrophe rausjelassen habt. Ick hätt euch sonst die Ohren abjerissen!
Als wir einige Tage später dem Betriebsschullehrer Tschackert davon erzählten, singt er gleich los: „O Tannenbaum, o Tannenbaum, der Wilhelm hat in’n Sack jehaun …“ und „Wer nie bei Siemens-Schuckert war ...“, Lieder, die wir bis dato in unserem Reclam-band als Fossile angesehen hatten. Von diesem Tage an haben wir gesammelt, sporadisch zwar, aber doch sehr hartnäckig. Buch um Buch, Beleg um Beleg: Richter, Steinitz, Lammel, Ostwald, Tappert, Böhme, Ditfurth, Kleye …
Wir wollten den Gassenhauer für uns nutzen und verhielten uns zu ihm nicht anders als unsere Vorfahren. Wir suchten uns von den zahllosen Varianten die aus, die uns am besten gefiel, oder wir haben aus mehreren Varianten eine neue gemacht. Wenn Musiken verschollen waren, haben wir respektlos neue verfaßt. Ja, wir haben auch dann neue Musiken geschrieben, wenn wir die alten nicht mehr witzig fanden; wenn zum Beispiel der Witz in einer Parodie lag, die heute keiner mehr versteht. Wir haben an einigen Stellen den Dialekt von dunnemals dem heutigen angepaßt. Aber wir haben nichts idealisiert, eingedenk der Tatsache, daß im Vormärz die kleine preußische Residenz als die schmutzigste Hauptstadt Europas galt, und wir brauchten nicht zu idealisieren, eingedenk der Tatsache, daß Friedrich Engels 1893 bei seiner Rede in den Concordiasälen die Berliner Arbeiterschaft als die bestorganisierteste in Europa bezeichnete: „In dieser Beziehung steht Berlin an der Spitze aller europäischen Großstädte und hat selbst Paris weit überflügelt.“ Wir wollten nüchtern ein Stück Historie der Stadt Berlin nachzeichnen, mit einer Kultur, die bisher kaum oder gar keine Öffentlichkeit hatte.
Wir haben auch mit der Instrumentation nichts idealisiert. Hätten wir dem Klischee entsprochen, wir hätten wohl zur Drehorgel greifen müssen; wir haben ganz darauf verzichtet. Die Leierkastenmänner verfügten über ein minimales Repertoire, viele hatten nur bis zu acht Walzen und sangen bei Bedarf verschiedene Texte über einen Leisten. Die Leierkastenmänner, meist konzessionierte Kriegsinvaliden, wurden vom gesitteten Bürger als Landplage betrachtet, waren aber auch bei ihren Sangeskollegen verpönt. Louise Schulze, als „Harfenjule“ jahrzehntelang Berlins bekannteste „Hofmusikantin“, bezeichnete sie als „kunstlose Gesellen“. Zu den ersten namhaften Sängern des Berliner Liedes, das sich gemeinsam mit dem Berliner Dialekt um 1820 entwickelte – den Adolf Glaßbrenner über zehn Jahre später literaturfähig machte – gehören die beiden Gitarristen Heinsius und Boquet. In den Tanzkaschemmen aber spielten ausrangierte ehemalige Regimentsmusiker, wohl die Vorfahren jener Auswanderer, die nicht einmal achtzig Jahre später in das Gemisch aus negroider Rhythmik, spanischer und italienischer Melodik den deutschen Militärmarsch einbrachten, um das Ganze zu jenem Konglomerat zu stilisieren, das wir heute als Jazz kennen. Uns lag viel daran, beides zu reproduzieren: Gitarre und Blech. Das bestimmte auch die Auswahl der Musiker für diese Platte: klassisch ausgebildete Leute, die in verschiedenen Stilistiken und allesamt im modernen Jazz zu Hause sind, dort sogar als renommierte Solisten oder Bandleader, und die – soweit Bläser – alle auch das betrieben haben, was man landläufig als Blasmusik bezeichnet.
HC Wroblewsky
Berlin, Juni 1981